2018 registrierten Opferberatungsstellen eine Zunahme rechter Gewalt auf 1.212 Angriffe allein in Ostdeutschland und Berlin

Rechte Gewalt in Ostdeutschland 2018

„Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Teilhabe sind durch rassistische Alltagsgewalt und organisierten Neonaziterror massiv bedroht“, warnen Opferberatungsstellen. Sie befürchten in 2019 eine weitere Zunahme rechter Gewalt im Kontext der Wahlkämpfe in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. „Die offiziellen Zahlen geben nur das Hellfeld der angezeigten und korrekt eingeordneten Taten wieder – das ist nur ein kleiner Ausschnitt der wahren Bedrohung durch rechte Gewalt“, sagt der Soziologe Dr. Matthias Quent.

++ In 2018 ereigneten sich mindestens drei rechte, rassistische und antisemitische Angriffe täglich in den fünf ostdeutschen Bundesländern und Berlin ++ Bei 2/3 der Fälle ist Rassismus das Tatmotiv und damit mit Abstand der Schwerpunkt rechter Gewalt ++ 1.212 Fälle politisch rechts motivierter Gewalt allein in Ostdeutschland und Berlin mit 1.789 direkt Betroffenen ++ „Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Teilhabe sind durch rassistische Alltagsgewalt und organisierten Neonaziterror schon jetzt massiv bedroht“, sagt Robert Kusche vom Vorstand des VBRG e.V. . „Wir befürchten in 2019 eine weitere Zunahme rechter Gewalt im Kontext der Landtagswahlkämpfe in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.“ ++ „Zum konkreten Schutz der von rassistischer Gewalt und Alltagsdiskriminierung Betroffenen ist eine Aufhebung von Wohnsitzauflagen für Geflüchtete sowie ein humanitäres Bleiberecht für Opfer rassistischer Angriffe notwendig“. ++

Die im VBRG e.V. zusammengeschlossenen Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt haben für das Jahr 2018 ein besorgniserregendes hohes Niveau von rechten Gewalttaten in den fünf ostdeutschen Bundesländern und Berlin dokumentiert. In Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wurden 1.212 rechts, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe registriert. (1) Damit wurden in Ostdeutschland und Berlin in 2018 täglich mindestens fünf Menschen Opfer rechter Gewalt. Unter den 1.789 direkt davon Betroffenen waren auch mehr als 250 Kinder und Jugendliche. Rassismus ist dabei – wie schon in den Vorjahren – das bei weitem häufigste Tatmotiv. Zwei Drittel aller Angriffe (793 Fälle) waren rassistisch motiviert und richteten sich zu einem großen Teil gegen Geflüchtete, Menschen mit Migrationshintergrund und Schwarze Deutsche. Eine weitere große Gruppe von Betroffenen rechter Gewalt sind (vermeintliche) politische Gegner*innen (188 Fälle).

Nach Anstieg in 2018 befürchten Experten weitere Zunahme rechter Gewalt in 2019

Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Anzahl der von den Opferberatungsstellen in Ostdeutschland und Berlin in 2018 registrierten rechten Gewalttaten insgesamt um rund acht Prozent: Gemessen an der Einwohnerzahl hat rassistische und rechte Gewalt in Berlin (8,6 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen), Sachsen (7,8 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) und Thüringen (7,5 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) deutlich zugenommen. In Brandenburg (7 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen), Sachsen-Anhalt (6,9 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) und Mecklenburg-Vorpommern (6 Angriffe je 100.000 Einwohner*innen) hat sich rechte Gewalt auf einem hohen Niveau stabilisiert und ist im Vergleich zu 2017 leicht zurückgegangen. „Für 2019 befürchten wir eine Zunahme rechter Gewalt insbesondere im Kontext der Landtagswahlkämpfe in Brandenburg, Sachsen und Thüringen“, sagt Robert Kusche vom VBRG e.V.

Beunruhigende Diskrepanz zwischen Zahlen der Beratungsstellen und Strafverfolgungsbehörden

Die Diskrepanz zwischen den PMK-Rechts Zahlen der Strafverfolgungsbehörden und den Zahlen  der ostdeutschen Opferberatungsstellen nimmt trotz der jüngsten Reform der Definition für Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) weiter zu. In 2017 hatte das BKA für das gesamte Bundesgebiet lediglich 821 PMK Rechts Hassgewalttaten festgestellt, während die Opferberatungsstellen in den ostdeutschen Bundesländern und Berlin im gleichen Jahr 1.123 rechte Angriffe dokumentiert hatten. „Die offiziellen Zahlen geben nur das Hellfeld der angezeigten und korrekt eingeordneten Taten wieder – das ist nur ein kleiner Ausschnitt der wahren Bedrohung durch rechte Gewalt.“, sagt Dr. Matthias Quent, Soziologe und Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. „Ein Austausch zwischen den Opferberatungsstellen und den Behörden sowie eine ständige unabhängige Expertenkommission sollten diese Differenz untersuchen, um vorurteilsgeleitete Hasskriminalität und organisierten Rechtsterrorismus realistischer einzuschätzen und effektiv zu bekämpfen.“ Dies gelte auch für die tödliche Dimension rechter Gewalt. Während Opferberatungsstellen von mindestens 183 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 ausgehen, erkennt das Bundesinnenministerium lediglich 84 Todesopfer an. Dazu gehört auch der 27-jährige Homosexuelle Christopher W. , der am 18. April 2018 in Aue (SN) von drei polizeibekannten Rechten zu Tode gefoltert und misshandelt wurde.

„Rassistische Alltagsgewalt und organisierter Neonaziterror bedrohen gesellschaftlichen Zusammenhalt und Teilhabe“, betont Robert Kusche vom VBRG,Dies gelte sowohl in West- als auch in Ostdeutschland. In den alten Bundesländern existiert eine nicht-staatliche Erfassung rechter Gewalt bislang erst durch die Opferberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen (2) und Schleswig-Holstein; in den anderen Bundesländern fehlen ausreichende Ressourcen, um rechte Gewalt  sichtbar zu machen. „Dabei beeinträchtigt rassistische Gewalt den Alltag von Familien, Männer, Frauen und Kinder in Ost- wie Westdeutschland gleichermaßen“, sagt Kusche. In den Chroniken der Opferberatungsstellen werde deutlich, dass Betroffene in West- und Ostdeutschland beim  Einkaufen, bei Freizeitaktivitäten, in öffentlichen Verkehrsmitteln, auf Spielplätzen und in ihren Wohnungen angegriffen werden. Umso notwendiger sei „zum konkreten Schutz der von rassistischer Gewalt und Alltagsdiskriminierung Betroffenen die Aufhebung von Wohnsitzauflagen für Geflüchtete sowie ein humanitäres Bleiberecht für Opfer rassistischer Angriffe“, sagt Kusche.

Für weitere Informationen:

Robert Kusche, Vorstand VBRG e.V., mobil: 0176-23562761

Geschäftsstelle des VBRG e.V.: 030-55574371;

Dr. Matthias Quent, mobil: 0176-21431060

Verweise:

(1) Pressemitteilung der Mobilen Opferberatung in Sachsen-Anhalt vom 2.4.2019; Pressemitteilung der Beratungsstelle ezra in Thüringen vom 27.03.2019; Statistik von SUPPORT des RAA Sachsen e.V. vom 07.03.2019; Pressemitteilung LOBBI in Mecklenburg-Vorpommern vom 06.03.2019; Pressemitteilung Opferperspektive e.V. vom 06.03.2019; Pressemitteilung von ReachOut Berlin vom 06.03.2019

(2) Pressemitteilung der Opferberatung Rheinland und der Beratungsstelle Back Up vom 2.4.2019

Download:

Pressekonferenz zur Jahresstatistik zum Ausmaß rechter Gewalt 2018 am 02.04.19 (Liveübertragung von phoenix)